
Was wir über Schmerzen denken – und warum das oft nicht dem entspricht, was wirklich dahinter steckt.
Vielleicht ist dies einer der wichtigsten Blog-Artikel, die ich schreiben werde (und worauf ich auch immer wieder zurückkommen werde). Denn in meiner täglichen Arbeit als Physiotherapeutin begegnet mir eine Annahme immer und immer wieder:
Schmerz bedeutet automatisch, dass etwas "kaputt" ist.
Oder anders gesagt: wir suchen diese eine Struktur oder diesen einen "Fehler" (wie z.B. Haltung, Schiefstand, Schlafposition....), die/der Schuld an den Schmerzen ist, die wir dann nur identifizieren müssen und das Problem anschließend beheben können.
Gerade bei Menschen mit chronischen (aber auch mit akuten Schmerzen) ist dieses Bild tief verankert. Und ehrlich gesagt – ich kann es absolut nachvollziehen.
Denn genau diese Vorstellung wurde uns allen über Jahrzehnte hinweg beigebracht:
Wenn etwas wehtut, muss auch etwas kaputt sein. Vermeintlich logisch: Schmerz = Schaden. Auch ich habe das so gelernt.
Und auch ich habe meine Therapien früher auf dieser Annahme aufgebaut – ohne zu hinterfragen, ob das wirklich der Realität entspricht.
Heute weiß ich: Damit habe ich vermutlich so manches Problem meiner Patienten nicht nur NICHT gelöst, sondern manchmal sogar verstärkt.
Denn gerade wir Therapeuten, Ärzte und das gesamte medizinische Personal tragen hier eine große Verantwortung.
Unsere Worte, unsere Diagnosen, unsere Erklärungen – all das können starke Schmerztreiber sein.
Manchmal reicht schon ein falsches Bild oder ein zu dramatischer Befund, um Ängste zu schüren und Schmerzen zu chronifizieren.
Aber Schmerzen bedeuten eben NICHT automatisch auch Schaden.
Und genau darum geht es in diesem Artikel:
Alte Vorstellungen loslassen – und Schmerz neu zu denken und zu verstehen.
Was Schmerz wirklich ist
In Wahrheit ist Schmerz eine hochkomplexe Reaktion des Körpers.
Natürlich - er ist ein Warnsignal – aber eben kein einfaches, klares Alarmsystem nach dem Motto: „Schmerz = Schaden“
So funktioniert unser Körper nicht.
Schmerz entsteht durch das Zusammenspiel unglaublich vieler Faktoren:
unser Nervensystem, unsere Emotionen, unsere Erfahrungen, unser aktuelles Befinden, unsere Schlafqualität, unsere Beweglichkeit, unser Umfeld, unsere Sorgen, Ängste – und nicht zuletzt auch durch das, was wir über unseren Körper glauben oder was uns gesagt wurde.
Natürlich kann ein tatsächlicher Gewebeschaden auch ein zum Schmerz beitragender Faktor sein.
Aber unser Körper ist prinzipiell eine echt "Heilungsmaschine".
Er kann kleinere Schäden oft komplett selbstständig regulieren, "reparieren" oder auch einfach lernen, damit umzugehen – ohne dass wir davon überhaupt etwas merken.
Schmerz bedeutet aber NICHT automatisch, dass auch etwas kaputt ist.
Und er entsteht vor allem auch nicht immer nur dann, wenn tatsächlich ein Schaden vorliegt.
Er ist vielmehr das Ergebnis eines sehr komplexen Zusammenspiels vieler innerer und äußerer Einflüsse.
Je besser wir dieses Zusammenspiel verstehen, desto weniger Angst müssen wir vor Schmerz haben – und desto freier können wir wieder leben lernen.

Beispiele aus der Praxis
Grade in meiner täglichen Arbeit sehe ich es immer wieder:
Strukturelle Veränderungen im Körper bedeuten nicht automatisch Schmerz – und umgekehrt kann starker Schmerz vorhanden sein, obwohl keine erkennbare Schädigung vorliegt.
Ein klassisches Beispiel ist die Bandscheibe. Studien zeigen, dass viele Menschen Bandscheibenvorfälle im MRT haben, ohne jemals Rückenschmerzen zu verspüren.
Eine bekannte Untersuchung von Jensen et al. (1994) ergab, dass über 50% (mit höherem Alter steigt diese Zahl sogar noch) der asymptomatischen Erwachsenen Bandscheibenveränderungen im MRT aufwiesen – ohne irgendwelche Beschwerden (Quelle: Jensen MC et al., NEJM 1994). Spannend, oder?
Ähnlich verhält es sich mit Arthrose (Abnutzung der Gelenkknorpel).
Radiologische Befunde zeigen oft deutliche Veränderungen im Gelenk, selbst bei Menschen, die keinerlei Schmerzen verspüren.
Eine systematische Übersichtsarbeit von Bedson und Croft (2008) bestätigte diese Diskrepanz: Strukturelle Schäden und Schmerzen stimmen nicht immer überein (Quelle: Bedson J, Croft PR, BMC Musculoskelet Disord 2008).
Andersherum sehe ich genauso häufig Patienten, die starke Schmerzen haben – obwohl in bildgebenden Untersuchungen wie MRT oder Röntgen keine nennenswerten Auffälligkeiten zu finden sind.
Das zeigt: Schmerzen sind ein komplexes Zusammenspiel vieler Faktoren, nicht bloß eine Reflexion von "etwas ist kaputt".
Auch alltägliche Beispiele zeigen, wie wenig Schmerz immer mit tatsächlichem Schaden zu tun hat:
- Kopfschmerzen - klar, sie tun weh, aber bedeutet es auch automaitsch, dass dein Kopf "kaputt" ist?
- Hirnfrost beim Eisessen – kennst du sicher :) total unangenehm, aber auch hier hat dein Gehirn keinen Schaden genommen.
- Sonnenbrand – kann brennen wie Feuer, ist aber meist eine oberflächliche, gut heilbare Hautreizung und in der Regel keine schwerwiegende Verletzung.
- Papierschnitt – eine minimale Verletzung, aber häufig unfassbar schmerzhaft.
Ich hoffe, dass du durch diese Beispiele schon etwas besser verstehst:
Schmerz ist viel mehr als ein direkter Anzeiger für Schäden oder das Ausmaß von Schäden.
Er ist eine hochkomplexe Schutzreaktion unseres Körpers – beeinflusst von vielen biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren.
Warum das richtige Verständnis von Schmerz so wichtig ist, um schmerzfrei zu werden
Eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Schmerzen langfristig loszuwerden, ist das Verständnis, wie Schmerzen überhaupt entstehen und wie sie funktionieren.
Das Problem bei Schmerzen ist:
Unsere logische Schlussfolgerung lautet oft – „Wenn es wehtut, stimmt etwas nicht.“
Und aus dieser Angst heraus beginnen viele Menschen, sich zu schonen und Bewegung zu vermeiden.
Was auf den ersten Blick vernünftig erscheint, kann aber schnell zum Teufelskreis werden.
Denn Bewegung – angepasst an die jeweilige Situation – ist einer der wichtigsten Faktoren, um Schmerzen zu lindern und dem Körper zu helfen, sich zu regenerieren.
Studien haben übrigens sogar gezeigt, dass allein das bessere Verständnis von Schmerz dazu beitragen kann, Schmerzen zu reduzieren. (Louw et al. 2016)
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Wenn wir verstehen, dass Schmerz nicht immer gleichbedeutend mit Schaden ist, nehmen wir unserem Nervensystem bereits einen entscheidenden Teil seiner Alarmbereitschaft.
Wir können ruhiger, sicherer und vertrauensvoller mit unserem Körper umgehen.
Und genau darum ist dieses Wissen so wichtig:
Es hilft uns, das Vertrauen in unseren Körper zurückzugewinnen.
Es zeigt uns, dass unser Körper kein zerbrechlicher Mechanismus ist, der ständig „repariert“ werden muss – sondern ein unglaublich anpassungsfähiges, kraftvolles System, das auf Heilung und Weiterentwicklung ausgelegt ist.

Was du daraus mitnehmen kannst
Natürlich sollten wir Schmerzen ernst nehmen.
Sie sind ein wichtiges Signal unseres Körpers – und sie verdienen unsere Aufmerksamkeit.
Aber wir müssen nicht automatisch in Panik verfallen.
Wenn Schmerzen sehr stark sind oder über längere Zeit anhalten, ist es natürlich sinnvoll, sich professionelle Hilfe zu holen.
Oft reicht schon ein gezielter Blick von außen, um Klarheit zu gewinnen und passende Lösungen zu finden.
Genauso wichtig ist es aber, aktiv zu bleiben.
Ein gesunder Lebensstil – Bewegung, Ernährung, Schlaf, Stressmanagement – spielt eine enorme Rolle dabei, Schmerzen zu regulieren und den Körper in Balance zu halten.
Denn in den allermeisten Fällen geht es nicht einfach nur um eine "kaputte" Struktur.
Es geht um ein viel größeres Zusammenspiel innerhalb unseres Körpers.
Unser Körper ist kein empfindliches, anfälliges Konstrukt.
Wie ich schon am Anfang gesagt habe, ist er eine regelrechte Heilungsmaschine.
Ein unglaublich anpassungsfähiges System, das ständig bestrebt ist, sich selbst zu reparieren, zu schützen und weiterzuentwickeln.
Was wir brauchen, ist nicht übermäßige Vorsicht und Angst – sondern Vertrauen.
Vertrauen in die Kraft und die Intelligenz unseres Körpers.
Vertrauen darauf, dass Bewegung, Lebensstil und bewusstes Verständnis Wege zurück zu mehr Gesundheit eröffnen können.
Einladung zum neuen Denken
Ich hoffe, du hast in diesem Artikel schon ein wenig sehen können:
Schmerz ist viel mehr als nur eine rein körperliche Reaktion auf einen Schaden.
Schmerz ist komplex, individuell – und vor allem beeinflussbar.
Wenn wir lernen, Schmerz neu zu verstehen, eröffnen sich ganz neue Wege, mit ihm umzugehen.
Weg von der Angst, hin zu mehr Vertrauen in unseren Körper.
Weg vom reinen „Reparieren“ einzelner Strukturen, hin zum ganzheitlichen Blick auf Gesundheit.
In den nächsten Artikeln werde ich noch tiefer auf verschiedene Themen eingehen, die dir helfen können, deine Schmerzen besser zu verstehen und deine Gesundheit aktiv zu gestalten:
Bewegung, Lebensstil, Stress, Ernährung – all diese Bereiche spielen eine zentrale Rolle.
Ich freue mich, wenn du weiter mit dabei bist und gemeinsam mit mir neue Perspektiven auf Gesundheit und Heilung entdeckst.
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